Wie man beim Ironman Hawaii über die Ziellinie schwebt

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Denise hat geschafft, wovon viele träumen: den Ironman Hawaii zu finishen.
Taucht ein in ihren Erfahrungsbericht und erlebt das legendäre Rennen aus erster Hand.

Noch 10 Tage: Ich trete auf den Balkon unseres Apartments. Vor mir glitzert der türkisfarbene Pazifik, eine kleine Sandbucht, Palmen – so, wie man sich Hawaii vorstellt. Weiter draußen leuchten die Bojen der Schwimmstrecke, und ich sehe das berühmte Pier am Horizont – so, wie es der Triathlet träumt. In diesem Moment ist alles vergessen: die nervenaufreibende Reisevorbereitung, der Spagat zwischen Training und Alltag, der chaotische Flug und die schlaftrunkene Ankunft letzte Nacht. Ich bin hier, und es fühlt sich richtig an.

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Denise in Kona

Sauna-Training mit Starbesetzung

Noch 6 Tage: Hitze und Schwüle der letzten Tage werden heute noch einmal übertroffen. Beim Radtraining auf dem Highway rutschen meine Hände trotz Fahrtwind; beim Laufen knallt die Sonne so stark, dass die Haut knistert. So muss sich ein Brathähnchen fühlen. Ich sauge die Erfahrung auf, lasse mich aber für den großen Tag nicht verunsichern.

Noch 4 Tage: Es geht richtig los – Registrierung, Bändchen am Arm, Eventrucksack auf dem Rücken und das Pflichtfoto vor der Namenswand. Am Nachmittag gibt’s die Parade der Nationen – so richtig begreifen kann ich es nicht, dass ich hinter der Deutschlandfahne über den Ali’i Drive spaziere.
Ich hatte etwas Angst, dass mir der Ironman-Rummel zu viel wird. Aber die Programmpunkte wirken wie Einladungen, nicht wie Pflichten. Es gibt Stimmen, die sagen, dass bei der Frauen-WM zu wenig los ist. Genau mein Ding: kein Anstehen, kein Drängeln, kein Warten.

Noch 3 Tage: Die deutschsprachige Wettkampfbesprechung ist schlecht vorgetragen und wenig hilfreich. Aber der Tag ist voller Starbegegnungen: Am Pier lausche ich den ruhigen, fesselnden Worten von Mark Allen. Auf dem Heimweg erhasche ich ein Foto und persönliche Glückwünsche von Daniela Ryf. Am Abend bekomme ich Tipps fürs Radfahren von Trainer Philipp Seipp und fürs Laufen von Leonie Konczalla.

Noch 2 Tage: Weiteres Pflichtprogramm. Am Morgen jubeln wir den Nackedeis beim Unterwäschelauf zu, anschließend geht es schwimmend zum Kaffeeboot. Die große Delfingruppe verpasse ich, dafür zeigt sich ein eleganter Rochen unter mir.
Die offizielle Eröffnungsveranstaltung ist voller Bilder und Emotionen. Schön, wenn man schon vor dem Rennen gefeiert wird: Dabei sein ist eine Ehre – das wird spätestens hier klar.

Noch 1 Tag: Sachen packen. Rumsitzen. Futtern. Rad und Wechselbeutel einchecken. Fast Routine – dass mein Gewicht zum Check-in gemessen wird, ist doch anders.

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Training

Das Rennen: Ich, die Lava und ein bisschen Wahnsinn

Nach einer kurzen, erholsamen Nacht beginnt der Renntag mit nassem Asphalt – der große Regen ist gerade durch. Heute entscheidet sich, was monatelang mein Leben bestimmt hat.

Das Betreten der Wechselzone ist ein besonderes Erlebnis. Vom Eingang bis zu meinem Rad laufe ich an etwa fünfzig Helfern vorbei, die mich alle feiern: „Du bist großartig!“, „Genieß es, dass du dabei bist!“, „Du bist hier!“ – wird mir mit kräftigem Applaus entgegengerufen. Noch nie war ich so dankbar, gesund und fit an der Startlinie eines Rennens zu stehen.

In der Wechselzone ist es wuselig, nass und dunkel, aber es gibt genug Licht, um das Rad startklar zu machen. An die Wechselbeutel kommt man im Gegensatz zu anderen Rennen nicht mehr ran. Dann heißt es: raus aus der Wechselzone – 6:15 Uhr. Die Profis starten um 6:25 Uhr, mein Start ist in der letzten Gruppe um 7:40 Uhr.

Die Wartezeit vergeht ruckzuck. Am Ausgang stehe ich direkt neben der Hauptbühne, mit Blick auf die Schwimmstrecke und den offiziellen Start hautnah. Danach beobachte und bejuble ich noch den Wechsel der ersten Profis auf die Radstrecke – ein bewegender Moment.

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Warten auf den Start

Schwimmen – Wellensalat à la Kona

Das Schwimmen im Pazifik beginnt turbulent. Kräftiger Wellengang, wie ich ihn nie im Training erlebt habe, wirbelt mich durcheinander. Kurz nach der Ankunft an der Startlinie ertönt das Startsignal. Ich atme tief ein und tauche ein – in den Traum vieler Triathleten.

Trotz der Bedingungen läuft alles ruhig und kontrolliert. Die Orientierung fällt mir leicht, die Bojen sind stets sichtbar. Anfangs habe ich gute Sicht auf den Meeresboden, sonst wirkt das Wasser heute eher grau und trüb. Auf großen Teilen der Strecke finde ich einen Wasserschatten, bis mich mal eine Welle wegspült. Unangenehm wird es, als eine Welle mich mit einer anderen Athletin zusammenprallen lässt.

Beim Ausstieg gönne ich mir eine ausführliche Dusche, um das Salz vom Körper zu bekommen. Abtrocknen und Nachtragen der Sonnencreme funktionieren nur mäßig – alles ist nass und glitschig. Aber ich komme ohne Sonnenbrand durchs Rennen, während Salzreste im Nacken später noch problematisch werden.

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Schwimmstart in Kona

Radfahren – ein Date mit Mister Gegenwind

Die ersten Kilometer auf dem Rad durch Kona sind hektisch.

Richtig Fahrt nimmt das Rennen auf dem Highway auf: Sonne, Lavafelder, Wind – ein klassisches Hawaii-Erlebnis. Meine Beine wollen von Anfang an nicht wie gewünscht, aber ich lasse mich nicht verunsichern. Auch wenn ich ein paarmal auf den Tacho drücke, weil ich glaube, dass der Wattmesser kaputt ist.

Auf halber Strecke Richtung Hawi treffe ich das Profifeld. Danach ist das Rennen ganz mein eigenes. Im Vergleich zu anderen Rennen gibt es auf Rad- und Laufstrecke keine Bühnen, keine Musik, keine Ansagen – die Ergebnisse der Spitze erfahre ich erst im Ziel.

Beim Anstieg zum Wendepunkt nach Hawi weht heftiger Gegenwind. Ich freue mich darüber – denn so kommt der Wind abwärts von hinten, nicht fies von der Seite, wie im Training erlebt. Da brachte mich der Wind fast zur Verzweiflung; er trieb mich an die Grenze meiner Fahrkünste.

Meine Ernährung funktioniert problemlos. Alles dabei, nichts geht verloren. Die Wasserversorgung ist ausbaufähig. Auf dem Rückweg gibt es immer weniger Helfer, die einem eine Wasserflasche zureichen. Also muss ich öfter stoppen, als mir lieb ist, um zu trinken und Wasser zum Kühlen über mich zu kippen. Dabei brennt das Wasser höllisch im Nacken, der mittlerweile durch Salz und Schweiß aufgescheuert ist.

Leider werden auch zunehmend Autos auf die Strecke gelassen. Das ist teils brenzlig. Ich fahre dann auch auf dem Seitenstreifen – obwohl das laut Regularien eigentlich verboten ist.

Lang und einsam wird mir die Strecke nicht. Die Lavafelder wirken trist, aber das blaue Meer am Horizont strahlt. Ich habe ständig andere Athletinnen um mich – nie zu viele, aber mehr als beim oft einsamen Training zu Hause.

Die letzten 40 Kilometer sind zäh. Durch starken Gegenwind wollen die Kilometer nicht vergehen. Mit einem dankbaren „Endlich!“ komme ich in die Wechselzone. Kein Sturz, keine Panne – volle Vorfreude auf den Lauf.

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Denise in Vorfreude auf den Lauf

Laufen – wenn Eiswürfel Freund und Feind zugleich sind

Mein Wechselbeutel ist ein Segen. Eigentlich wollte ich im Einteiler laufen, aber eine innere Eingebung ließ mich Wechselkleidung einpacken: Das Shirt ist weiter ausgeschnitten als der Rennanzug, sodass der aufgescheuerte Nacken kein Problem mehr ist.

Zum Laufen gönne ich mir ein frisches Paar Socken. Meine Füße sehen furchtbar aus – nach acht Stunden im Meer und in durchnässten Radschuhen.

Das Loslaufen fühlt sich gut an. Ich bin sicher: Ich komme ins Ziel – auch wenn noch viel zu leisten ist. Einfach ein Bein vor das andere zu setzen reicht nicht; Versorgung und Kühlung müssen stimmen.

Die anfänglich stehende Hitze bewältige ich dank Eiswürfeln gut. Auf dem Highway wird es zunehmend kühler und dunkler, sodass ich bald die Stirnlampe brauche.

Während ich durch die Nacht laufe, passiert etwas, womit ich nicht gerechnet habe: An einer Verpflegungsstation greife ich nach einem Becher Wasser – und muss ihn sofort ausspucken. Feinstes Chlorwasser! Da ist dem Veranstalter hinten raus die Wasserversorgung knapp geworden, und es musste auf Leitungswasser umgeschwenkt werden.
Mit cleveren Cola-Cocktail-Mischungen bekomme ich das Zeug runter, aber die Getränke werden zunehmend kälter – fast tiefgekühlt! Gehirnfrost und Magenkneifen. Ich muss leider etwas zurückhaltend laufen – obwohl Beine und Kopf noch für mehr bereit wären.

Beim Rauslaufen aus dem Energy Lab ist es noch drückend heiß. Paradoxerweise greife ich wieder zu Eiswürfeln, obwohl ich sie gerade im Getränk verfluche. Auf dem Highway angekommen, ist es plötzlich unglaublich schwül – die nasse Straße verrät den gerade durchgezogenen Regenschauer.

Die Dunkelheit hat einen Vorteil: Ich sehe nicht, wie weit sich der Highway noch zieht. Damit es einem aber nicht zu leicht gemacht wird, setzt für ein paar Kilometer noch strömender Regen ein. Der fiese Anstieg bei Kilometer 39 lässt mich noch einmal beißen, aber der Regen endet pünktlich zum Zieleinlauf.

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Freude beim Lauf

Zieleinlauf – Sekunden, die ewig bleiben

Als ich unten auf den Ali’i Drive biege, habe ich nur noch eine Aufgabe: die Zielgerade möglichst für mich allein haben. Ich bummle ein wenig, um nicht in eine Gruppe vor mir zu laufen.

Auf dem Teppich juble ich die Menschenmasse mehr an, als sie mich. Ich plane einen Freudensprung über die Ziellinie, reiße die Arme nach oben – und hebe tatsächlich ab.
Wie Ironman-Sprecher Paul Kaye so schön auf der Eröffnungsfeier sagte: „Die Ziellinie beim Ironman Hawaii ist kein Erfolg. Erfolg ist, hier zu starten; die Ziellinie ist ein Geschenk.“
Ich schwebe durch die Luft, reiße das Geschenk auf und streue den Inhalt in die Welt hinaus: Liebe, Glück, Lebensfreude.

Nach der Landung verbeuge ich mich intuitiv, bedanke mich vor dem Publikum. Vor mir stehen keine fremden Leute, ich sehe vor meinem inneren Auge meine Familie, meine Freunde, meine Begleiter. Dank moderner Technik sind sie über 12.000 Kilometer entfernt am Bildschirm live dabei.


Der Mythos – Hätte. Wäre. Glücklich.

Das war er also – mein Ironman Hawaii. 13 Stunden und 14 Minuten war ich unterwegs. Vielleicht hätte ich etwas schneller sein können – aber vielleicht wäre ich dann im Energy Lab als Brathähnchen geendet.
Über „hätte, wäre, wenn“ zu sprechen, fühlt sich bei diesem Rennen falsch an. Dafür ist es zu besonders, zu groß, zu intensiv.

Ich bin einfach nur glücklich, den Ironman Hawaii erlebt zu haben. Es war ein unbeschreibliches Gefühl – von der ersten Sekunde an. Dank guter mentaler und körperlicher Vorbereitung konnte ich das Rennen wirklich genießen. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

Und dieser Mythos Hawaii? Diese fast magische Faszination?
Lange konnte ich das nicht nachvollziehen. Viele Triathleten träumen davon, einmal auf dieser Insel zu starten – mich hat das nie besonders gereizt. Ich war skeptisch, ja, ich musste sogar überredet werden, die Qualifikation anzunehmen.

Doch kaum war ich vor Ort, war alles anders. Die Energie, die Stimmung, die Geschichte dieses Rennens – sie haben auch mich mitgerissen.
Woher genau mein Sinneswandel kam? Das will ich gar nicht genau ergründen: Das bleibt mein ganz persönlicher Mythos Hawaii.

Vielen lieben Dank für Deinen Erfahrungsbericht liebe Denise

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